Lieber wütend als traurig
Nirgendwo sonst sind die gesellschaftlichen Widersprüche an den Kindern und Jugendlichen so deutlich erkennbar und spürbar wie an den pädagogischen Zentren der Schulen. Das bedeutet, dass wir sensibel wahrnehmen, was diese jungen Menschen an Widersprüchlichem bewegt und gleichzeitig diese Widersprüche zu etwas Neuem, Konstruktivem zu wenden, was immer auch zu tun hat mit dem Setzen von Lernmotiven und Neugiermotiven, denn nur so kann die Schule ihre humane Funktion erfüllen. Fehlt jedoch die notwendige pädagogische Ermutigung, weil abfragbares und katalogisierbares Wissen wie es auch in den Pisa-Studien und den Evaluationen üblich ist, die Entwicklung von Neugier und Lernmotivation ersetzt, dann führt das dazu, dass jungen Menschen nicht mehr das bekommen, was sie eigentlich in der Schule bekommen sollten. Dann sind sie der Gefahr ausgesetzt, auf Dauer von der Gesellschaft abgekoppelt zu werden, das heißt von jener Gesellschaft, in der Produktions- und Lebenszusammenhänge Anerkennung finden. Diese drohende dauerhafte Marginalisierung können depressive Störungen im Kindes- und Jugendalter begünstigen.
Depressive Symptome sind bei Minderjährigen stark altersabhängig.
Bei Kleinkindern stehen eher somatische Symptome wie Appetit-, Schlaf-, Gedeih- und Entwicklungsstörungen oder Bauchschmerzen im Vordergrund. Nach einer Initialphase mit Schreien und Weinen können die Kinder im Verlauf zunehmend passiver und desinteressierter werden. Bei Vorschulkindern sind reduzierte Psychomotorik, Lustlosigkeit, Stimmungsschwankungen, Reizbarkeit und Aggressivität auffällig. Im Schulalter berichten die Kinder über Traurigkeit, Schuldideen, Versagensängste und ziehen sich von Sozialkontakten zurück, manchmal treten erste suizidale Gedanken auf. Im Jugendalter stehen – den Erwachsenen ähnlich – Leistungsprobleme, sozialer Rückzug, Antriebs- und Interessensverlust sowie Zukunftsängste, Selbstwertprobleme und gegebenenfalls Suicidalität im Vordergrund. Auch Reizbarkeit, geringe Frustrationstoleranz, Jähzorn und externalisierendes und histrion anmutendes Verhalten können im Jugendalter Ausdruck einer Depression sein. Durch Nichtteilnahme am Alter entsprechenden Alltag können die entwicklungsnotwendige Stimulation und Reifung fehlen, so dass Entwicklungsverzögerungen im sprachlichen, (psycho-)motorischen, kognitiven und sozialen Bereich mit weiterem Verlust an Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen die Folge sind.
Die Therapie depressiver Störungen bei Minderjährigen sollte immer multimodal sein. Bei depressiven Störungen im Kindes- und Jugendalter steht die psychosoziale Behandlung im Vordergrund. Diese umfasst die Beratung der Eltern in Bezug auf einen feinfühligen Erziehungsstil und die Beseitigung von Belastungsfaktoren.
Ziele der Behandlung depressiver Störungen sind der Abbau belastender Faktoren, der Aufbau positiver Aktivitäten, die Förderung und Bewusstmachung vorhandener Ressourcen, die Modifikation negativer Perzeptions- und Interpretationsmuster und die Steigerung von Selbstsicherheit und Selbstwert.